Woche 20
Verbunden in der Stille, Woche 20, 2021
Himmelfahrt und zurück
Erinnert ihr euch auch? Als Kinder spielten wir gern das Hüpfspiel «Himmel und Hölle». Dazu malten wir mit Kreide nummerierte Felder auf den Boden. Das vorderste entsprach der «Hölle», das am weitesten entfernte dem «Himmel». Es galt, auf einem Bein jene Felder zu überhüpfen, auf die zuvor ein Steinchen geworfen wurde. Die Doppelfelder erlaubten, mit beiden Beinen darauf zu hüpfen oder, zuoberst, auch umzukehren. Wir sprangen sozusagen auf der Erde zwischen Hölle und Himmel auf und ab. Leichtfüssig und spielerisch. Und der ganze Weg auf dem Spielplan war gefasst in einem Bild.
Heute denke ich, der ganze Weg unseres Lebens ist gefasst in einem Bild, nach einem «kosmischen Spielplan»:
Auf der Erde leben wir. Von ihr wissen wir am meisten. Hier machen wir unsere Erfahrungen. Die Hölle ist ein Ort des Leidens, der überall sein kann. Den Himmel sehen und ersehnen wir zugleich. Und manchmal erfahren wir ihn: in der Liebe, in erfahrenem Glück, in grösster Zufriedenheit. Und alles gehört zusammen.
Obwohl der Himmel uns immer umgibt, ist er nicht fassbar. Als Ort werden wir ihn niemals finden, selbst wenn wir in den Weltraum reisen. Er ist die Form- und Gestaltlosigkeit schlechthin. Wir sehen ihn lichtvoll hellblau, verhangen grau oder nächtlich dunkel. Als ungreifbare, endlose Weite und in der Unendlichkeit des Horizonts auch als ein Nichts.
Dorthin ist Christus aufgefahren, heisst es in der Apostelgeschichte. Wohin denn wirklich?
Eine knappe Antwort lese ich bei Silja Walter:
«Was heisst: in den Himmel aufgefahren? Ich hätte den Jüngern gesagt: ‘Himmel ist nicht oben über den Wolken, Himmel ist kein Ort, Himmel ist Zustand.»
Im «Himmel auf Erden» übersteigen wir uns selbst und finden uns neu in einem «himmlischen», «göttlichen» Zustand. Das ist ein Ausschnitt des gesamten Bildes. Erfahrungen, die unvollkommene, unerlöste Anteile enthalten, Leiden und Dunkelheit, gehören auch ins Bild. Das «Bild» als Ganzes verkörpert sich in verschiedensten Erscheinungsformen, in lichtvollen und dunklen.
Für mich ist der Himmel, in den Christus aufgefahren ist, jene Dimension, die das Bild zusammenhält. Der Nicht-Ort des kosmischen Christus durchwirkt den ganzen «Spielplan». Diese göttliche Dimension inkarniert sich ständig neu, verkörpert sich in verschiedensten Erscheinungsformen. Sie lebt auch in uns und bewirkt Freude, Liebe, Mitgefühl und Weisheit. Dort, wo unser Erleben dunkel ist, lebt der Funke des Lichts ebenso wie dort, wo er «himmlisch» als reines Licht zu erkennen ist. Pia Gyger nennt es das Christuslicht, das selbst in der Finsternis anwesend ist. Wir können Christus als das verborgene Licht ansprechen. Denn auch das Dunkle sehnt sich nach dem Licht. Es kann erlöst werden.
Die irdische Erfahrungswelt ist zunächst dual, und gleichzeitig ist alles in einen «kosmischen Spielplan» gefasst. Der Physiker Markolf H. Niemz sagt: «Raum und Zeit sind nicht zwei; Sein und Werden sind nicht zwei, Gut und Böse sind nicht zwei, Huhn und Ei sind nicht zwei, Schöpfer und Schöpfung sind nicht zwei, Liebe und Verständnis sind nicht zwei.» Er entfaltet, inwiefern sich scheinbare Gegensätze gegenseitig bedingen und im Tiefsten eins sind. In der Erfahrung der Einheit löst sich das duale Empfinden auf. Das Bild kann als Ganzes wahrgenommen werden.
Der «Ort», zu dem Christus aufgefahren ist, ist in dir und mir. Silja Walter betet in geerdeter Mystik:
«Erst die himmelfahrende Auferstehung lässt deine Bleibe bei uns zu – ‘bis ans Ende der Welt` - sagst du, oder: ‘- bis an die Grenzen der Erde`. Denn eingegangen in die Raum- und Zeitlosigkeit der Auferstehung in den Himmel ist dort die Welt, die Erde, bin ich, wo du bist. Im Überall und Jetzt.«
Was immer ich tue, schreibe, bedenke, ob ich wandere, esse, meditiere, spreche oder arbeite, und wer immer ich bin: Alles ist gefasst in der himmlisch-irdischen ICH BIN-Gegenwart des form- und gestaltlosen Urgrunds.
Claudia Nothelfer, Kontemplationslehrerin vi
Literatur:
Silja Walter, Die Beichte im Zeichen des Fisches, Topos.
Markolf H. Niemz, Die Welt mit anderen Augen sehen, Gütersloher Verlagshaus.
Zu diesen Zeiten sind Menschen in der Stille:
7°°-8°°
11.30-12°°
17.30-18°°
19°°-20°°
Herzlich mit Euch verbunden wünschen wir Euch eine gesegnete Woche
Claudia Nothelfer, Erich Schlumpf, Margrit Wenk-Schlegel