Woche 51
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Die Pforte
Öffnet uns die Pforte, und wir werden die Gärten sehen,
Ihr kühles Wasser trinken, auf dem der Mond seine Spur hinterliess.
Die lange Strasse brennt, feindlich den Fremden.
Wir irren in Unwissenheit und finden keinen Ort.
Wir wollen Blumen sehen. Hier lastet Durst auf uns.
Wir warten und leiden, wir stehen hier vor der Pforte.
Wenn es sein muss, erbrechen wir sie mit unseren Schlägen.
Wir drücken und schieben, aber die Schranke ist zu schwer.
Uns bleibt nur das Sehnen, Warten und vergebliches Schauen.
Wir schauen auf die Pforte; sie ist verschlossen, unüberwindlich.
Wir heften unseren Blick auf sie; wir weinen unter der Qual;
Wir sehen sie immer, unter der Last des Gewichtes der Zeit.
Die Pforte ist vor uns; was nützt uns das Wünschen?
Es ist besser, zu gehen und die Hoffnung fahren zu lassen.
Wir werden niemals eintreten. Wir sind es müde, sie zu sehen.
Als sie sich auftat, liess die Pforte eine so grosse Stille hindurch,
Dass kein Garten erschien und auch keine Blüte;
Nur der unendliche Raum aus Leere und Licht
War mit einem Mal vollkommen da, erfüllte das Herz,
Und wusch die Augen, fast erblindet unter dem Staub.
Simone Weil
Simone Weil (1909 – 1943) kennt die Erfahrung der verschlossenen Türen. Die Philosophin und Dichterin jüdischer Herkunft arbeitet aus Solidarität mit dem Leid der Bevölkerung in den Kriegsjahren in einer Pariser Fabrik im Akkord. Sie kennt Phasen tiefer Erschöpfung und der schieren Hoffnungslosigkeit am Rand der Resignation – des Aufgebens der Hoffnung auf Rettung aus der Versklavung von Menschen. Sie geht, geschunden und krank, einen Weg der Gottsuche mitten im Kriegs- und Arbeiterelend. Dabei sieht sie sehr klar, dass Sehnsüchte und Wunschvorstellungen Illusion sind.
Darin spricht sie die Erfahrung vieler aus: Kaum hat sich eine Tür aufgetan, so wird schon wieder eine weitere sichtbar, kaum ist ein Raum betreten worden, so erweist er sich als begrenzt. Es gehört zum Dasein, dass wir mit Begrenzungen und Leid konfrontiert werden. Wenn die radikale Endlichkeit zu unserem Wesen gehört, legt es sich nahe, Hoffnungen und Wünsche ans Leben aufzugeben?
Oder ist möglich, das Unzumutbare auszuhalten und zu warten, bis sich das Tor von allein öffnet? Es gibt Zugänge, die nicht gewaltsam aufgebrochen werden können, sondern sich nach einer ganz anderen Gesetzmässigkeit von selbst auftun, wenn die Stunde da ist. Und dann braucht es wohl die «reingewaschenen Augen» um zu sehen, was sich hinter der Pforte verbirgt. Legen uns nämlich unsere Sehnsüchte fest, ist unsere Erwartung auf konkrete Formen der Erfüllung fixiert, dann können wir das „ganz Andere“ nicht wahrnehmen, das sich «hinter der Pforte» zeigt in allem, trotz allem. Simone Weil erfährt dies als «der unendliche Raum aus Leere und Licht».
Im Advent der Menschheitsgeschichte hat sichdie Pfortegeöffnet. Die Menschen haben einen Blick auf das „Ganze“ gewährt bekommen, in das sie eingetaucht wurden. Das Licht ist in das ungewisse und unbegreifliche Dunkel der menschlichen Existenz gefallen und sichtbar geworden ganz konkret. Im Verzicht auf allzu klare Vorstellungen und Erwartungen konnte es erfasst werden: Kein König, ein Kind, hilflos und arm, lässt die Pforte zurückweichen. Advent und Weihnachten sind in ihrer Essenz ein unerwartetes Geschenk, Leere und Licht, mit konkreter menschlicher Liebe gefüllt.
Claudia Nothelfer, Kontemplationslehrerin vi
Zu diesen Zeiten sind Menschen in der Stille:
7°°-8°°
11.30-12°°
17.30-18°°
19°°-20°°
Herzlich mit Euch verbunden wünschen wir Euch eine gesegnete Woche
Claudia Nothelfer, Erich Schlumpf, Margrit Wenk-Schlegel